Mao Zedong: Exploring multidimensional approaches to the writing of biography
Internationale Tagung
1. Jul bis 3.Juli 2016
Organisiert durch das Institut für Ostasienwissenschaften (Univ.-Prof. Dr. Susanne Weigelin-Schwiedrzik) und das Ludwig Boltzmann Institut für Theorie und Geschichte der Biographie (Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Hemecker)
In den letzten Jahren sind weltweit viele Mao Zedong Biographien entstanden. Besondere Aufmerksamkeit erreichte die Biographie von Jung Chang et al. „Mao – The Unknown Story“, die angeblich jeder führende Politiker außerhalb Chinas zur Lektüre auf seinem Nachttisch platziert. Während diese Biographie fast ohne jede Widerrede in der Öffentlichkeit angenommen und ihrem entlarvenden Ton, wenn überhaupt, dann nur von Personen des öffentlichen Lebens vom Kaliber eines Henry Kissingers oder Helmut Schmidts widersprochen wurde, wurde verschwiegen, daß diese Biographie ein zentrales Element vermissen läßt: Das ist die für Biographie seit Beginn der Moderne typische Auseinandersetzung mit der geistigen und psychischen Entwicklung der zu biographierenden Person. Die Abwesenheit des „Persönlichen“ durchzieht dabei alle jüngst erschienenen Biographien zu Mao und wird dennoch auch in Fachrezensionen nicht thematisiert, so sehr hat sich die Leserschaft bereits daran gewöhnt, daß Mao nur in seiner Außenwirkung und Außendarstellung Gegenstand der Darstellung ist.
Nun zeigt ein Blick in die Geschichte der Biographie als Genre im chinesischen Kontext, daß vormoderne Ausprägungen der Biographie, wie man sie seit den berühmten „Aufzeichnungen eines Historikers“ von Sima Qian und durch die Lektüre der Dynastiegeschichten kennt, sich seit jeher auf eine Darstellung der Außenwirkung der beschriebenen Persönlichkeiten beschränkt und dabei Lob und Tadel in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Biographien liegen uns in der Form von zahlreichen Nekrologen vor, die immer aus der Perspektive des die Person von außen Betrachtenden geschrieben sind und in der Regel darauf verzichten, die Person selbst zu Wort kommen zu lassen. Lob und Tadel werden den fünf Regeln konfuzianischen Wohlverhaltens entsprechend verteilt. Die Darstellung Mao Zedongs durch chinesische Autoren in- und außerhalb Chinas scheint von diesem Muster nicht weit entfernt. Doch ist damit noch nicht die Frage beantwortet, warum auch Autoren von außerhalb des chinesisch-sprachigen Kulturraums diesem Muster folgen. Schaut man z.B. in die jüngst auch ins Deutsche übersetzte Biographie von Alexander V. Pantsov und Steven I. Levine: „Mao – Tyrann, Held der Armen, Despot und Poet“, so zeigt sich zwar hier zumindest das Bemühen, die Vielschichtigkeit der Persönlichkeit Mao Zedongs voll zur Geltung kommen zu lassen, doch ist auch dieses Buch im Wesentlichen auf den politischen und damit auf Außenwirkung konzentrierten Mao ausgerichtet.
Dabei hat sich inzwischen die Quellenlage stark geändert. Während Stuart R. Schram seine berühmte Mao Biographie in den sechziger Jahren ausschließlich auf der Grundlage von politischen Schriften Mao Zedongs verfaßte, von denen wir heute mehr als er damals wissen, daß ihre veröffentlichte Form durch mehrere Stufen der Überarbeitung ging, an denen Mao selbst nur bedingt beteiligt war, liegen seit dem Ende des Kalten Kriegs und dem Zusammenbruch der Sowjetunion vorher von der KPdSU wie von der KPCh als Geheimnisse gehütete Quellen vor, die zumindest die von Mao Zedong angezettelten politischen Auseinandersetzungen in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Sowohl Jung Chang als auch Pantsov haben von diesem neuen Quellenreichtum profitiert und reichlich Gebrauch gemacht. Deutlich ist auch, daß die offizielle Mao Biographie, welche durch das zentrale Parteiarchiv in Peking unter der Herausgeberschaft von Jin Chongji erstellt wurde, auf diese neue Quellenlage reagiert und mit zusätzlich, zuvor nicht bekannten Quellen, zumindest in manchen Bereichen die individuelle politische Entwicklung Mao Zedongs im Detail nachzeichnet. Doch auch hier fehlen die eigentlich persönlichen Quellen, das Tagebuch, der persönliche Brief und, was im Kontext der chinesischen Kultur von besonderer Bedeutung erscheint, das Gedicht und die Kalligraphie.
Gedicht und Kalligraphie sind die zwei zentralen Formen, mittels derer ein chinesischer Gelehrter seiner persönlichen Stimmung Ausdruck verleihen kann und darf. Die zahlreichen im traditionellen Stil verfaßten Gedichte Mao Zedongs werden zwar in und außerhalb Chinas als Kunstwerke gefeiert, sie werden bisweilen auch zur Analyse der darin zum Ausdruck gebrachten politischen Meinungen Mao Zedongs herangezogen, es liegt aber bisher keine Interpretation vor, die es sich zum Ziel setzt, das in den Gedichten zu suchen, was man in ihnen erwarten würde: den Ausdruck persönlicher Gefühle des Verfassers. Wenn also das oben beschriebene Manko der vorliegenden Mao Zedong Biographien in irgendeiner Weise überwunden werden kann, dann müßte man sich den Gedichten als kulturell eingeübte und zugelassene Form der Artikulation von persönlichen Gefühlen zuwenden.
Das Gleiche gilt für die Kalligraphie. Alle Gedichte Maos liegen als von ihm eigenhändig erstellte Kalligraphien vor. So wie im europäischen Kontext Gelehrte z.B. auch in der Musik eine Form finden, mittels derer sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen können, so ist es die Kalligraphie, die den chinesischen Gelehrten zu diesem Zwecke zur Verfügung steht. Bisher gibt es zwar durchaus Publikationen zur Kalligraphie Mao Zedongs, doch ist bisher keine bekannt geworden, die sich mit Maos Kalligraphien als Ausdruck seiner Persönlichkeit auseinandergesetzt hätte.
Die Konferenz wird dem Thema in drei Schritten nachgehen.
Zunächst wird sie sich der Bestandsaufnahme bereits publizierter Mao Biographien widmen und zu diesem Zwecke Mao Biographen und deren Kritiker an einen Tisch bringen. Es geht darum, in diesem Zusammenhang einen meta-historischen Diskurs zu führen und das Ziel zu verfolgen, Hintergründe der Entstehung von Mao Biographien, Beweggründe der Biographinnen und Biographen sowie Rezeptionsmechanismen zu erkunden.
In einem zweiten Schritt geht es um den inter-kulturellen Dialog zum Genre der Biographie. Hier geht es zentral darum, ob die angesprochenen Unterschiede im Umgang mit dem Genre der Biographie Ausdruck kultureller Differenzen sind oder als Spiegelbild unterschiedlicher gesellschaftlicher Konstellationen begriffen werden müssen. Zu dem Zwecke werden Theoretiker des Genre Biographie aus China und dem Westen mit einander dialogisieren und sich gegenseitig über die Geschichte des Genres im jeweiligen Kontext informieren.
In einem dritten Schritt geht es um die Frage des oben dargestellten „Mankos“. Hier steht das Problem zur Diskussion, wie und ob dieses Manko geschlossen werden kann und soll. Im Zentrum steht dabei die Auseinandersetzung von chinesischen Gelehrten und Sinologen aus aller Welt mit den Kaligraphien und Gedichten Mao Zedongs.
Die Relevanz dieser Konferenz besteht darin, daß sie über die Ost-West-Grenze hinweg am Beispiel einer das öffentliche Interesse erweckenden Persönlichkeit wie Mao Zedong in einem inter-kulturellen Kontext und politisch-ideologische Gräben überwindend einen Beitrag sowohl zur Entwicklung von Theorie und Methode der Biographie leisten kann als auch neue, bisher nicht veröffentlichte Einblicke in die Persönlichkeit Mao Zedongs hervorbringen kann.